Erhöhte Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung

Gesetzliche Grundlagen
  • Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), §§ 2, 8 Abs 5
  • Verordnung über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Richtsatzverordnung, BGBl Nr. 150/1965)
  • Einschätzungsverordnung (BGBl II Nr. 261/2010)

Für erheblich behinderte Kinder wird zusätzlich zur allgemeinen Familienbeihilfe ein Erhöhungszuschlag monatlich gewährt.

Voraussetzungen:

Eine erhebliche Behinderung im Sinne des FLAG liegt vor, wenn ein Kind an einer nicht nur vorübergehenden (d.h. voraussichtlich mehr als drei Jahre dauernden) gesundheitlichen Beeinträchtigung leidet und

  • der Grad der Behinderung mindestens 50 vH. beträgt oder
  • das Kind voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Besteht eine 50%ige Behinderung, wird die erhöhte Familienbeihilfe so lange gewährt, als die allgemeine Familienbeihilfe zusteht. Ist daher das Kind bereits volljährig, müssen die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe für volljährige Kinder (z.B. Notwendigkeit einer Berufsausbildung, aber kein Leistungsnachweis) erfüllt sein; die Gewährung der Familienbeihilfe ist in einem solchen Fall bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres möglich.

Für dauernd erwerbsunfähige Kinder gilt keine Altershöchstgrenze, wenn die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, oder während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres (bis inklusive Juni 2011: 27. Lebensjahr) eingetreten ist.

Dauernde Erwerbsunfähigkeit

Dauernde Erwerbsunfähigkeit liegt auch vor,

  • wenn ein Versuch einer Eingliederung des behinderten Kindes ins Erwerbsleben durch längere Zeit unternommen wurde, aber gescheitert ist (siehe Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967 02.01.Ziffer 5).
  • wenn der "beruflich Tätige" keine (Arbeits)-Leistungen erbringt, wenn also eine Person nur aus karitativen Überlegungen oder zu therapeutischen Zwecken ohne Erwartung einer Gegenleistung wie ein Dienstnehmer behandelt wird - in diesem Fall liegt keine berufliche Tätigkeit vor! (VwGH-Erkenntnis vom 23.11.2004, 2002/15/0167).

Erhebliche Behinderung — Feststellung (§ 8 Abs 5 und 6 FLAG)

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (ehemals: Bundessozialamt) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Wird auf Grund des ärztlichen Sachverständigengutachtens der Grad der Behinderung mit mindestens 50% oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt, gewährt das Finanzamt die erhöhte Familienbeihilfe, andernfalls muss das Finanzamt den Antrag abweisen.

Spätestens alle 5 Jahre wird vom Finanzamt das Vorliegen der erheblichen Behinderung überprüft. Von der Überprüfung ausgenommen sind erhebliche Behinderungen oder Erkrankungen, die aus ärztlicher Sicht keine Änderungen erwarten lassen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind ab 1.9.2010 die Bestimmungen der Einschätzungsverordnung anzuwenden. Davor waren die Bestimmungen der Richtsatzverordnung heranzuziehen.

Antragstellung

Für die Beantragung der erhöhten Familienbeihilfe beim zuständigen Wohnsitzfinanzamt sind folgende Formulare erforderlich:

  • Antrag (allgemeine) Familienbeihilfe (Beih 1)
    und
  • Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Beih 3)

Diese Formulare sind auf der Homepage des Bundesministeriums für Finanzen www.bmf.gv.at zu finden.

Grundsätzlich sind die Eltern antragsberechtigt. Ist die Hausgemeinschaft nicht mehr gegeben bzw. leisten die Eltern nicht mehr überwiegend den Unerhalt, kann das Kind selbst den Antrag einbringen. Antragstellung per E-Mail nicht möglich.

Vom Termin zur ärztlichen Untersuchung des Kindes durch den vom Sozialministeriumservice (ehemals: Bundessozialamt) bestimmten ärztlichen Sachverständigen wird der Antragsteller schriftlich verständigt. Zur ärztlichen Untersuchung sollten sämtliche vorhandene ärztliche Unterlagen (in Kopie) des Kindes mitgenommen werden.

TIPPS! Beratung und Einholung von Informationen zur (erhöhten) Familienbeihilfe in den Infocentern bei den Finanzämtern; Email Anfragen an die Fachabteilungen des BMFJ und telefonische Beratung direkt in der BMFJ-Fachabteilung I/1 möglich

Zur Begutachtung

siehe dazu Erkenntnis des BFG (RV/7102062/2017)

  • Weder das Behinderteneinstellungsgesetz (vgl. VwGH 24. 6. 1997, 96/08/0114) noch das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 enthalten eine Regelung, aus der erschlossen werden kann, dass ein Anspruch auf die Beiziehung von Fachärzten bestimmter Richtung bestünde. Es besteht demnach im Allgemeinen kein Anspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an.
  • Es ist nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Behörden des Verwaltungsverfahrens verpflichtet sind, die Beweiskraft der Gutachten des Sozialministeriumservice zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. etwa VwGH 25. 11. 2010, 2010/16/0068, m. w. N.).
  • Die Parteien haben die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. VwGH 4. 7. 2016, Ra 2016/04/0057, m. w. N.). Die Behörde hat sich dann mit dem Inhalt dieses Gegengutachtens auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 17. 7. 1997, 95/09/0062).
  • Wie oben ausgeführt, ist es Sache der Behörde, Gutachten nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 eigenständig zu prüfen und sich nicht darauf zu verlassen, dass diese bzw. das zuletzt erstattete Gutachten "fachlich korrekt" sei. Im Fall einer mangelnden Nachvollziehbarkeit hätte die Behörde hier von Amts wegen eine Gutachtensergänzung zu veranlassen.

Hinweise zu erhöhte Familienbeihilfe, Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. bzw. vor dem 25. Lebensjahr: siehe dazu Erkenntnis des BFG vom 05.05.2020, RV/7100591/2020

  • In einem Fall, bei dem Jahrzehnte zurückliegende Sachverhaltselemente entscheidungsrelevant sind, liegt es am Antragsteller/an der Antragstellerin, das Vorliegen dieses Umstandes klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. VwGH 30.05.2017, Ro 2017/16/0009, vgl. auch Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Rz 32).
  • Psychische Erkrankungen nehmen in der Regel einen schleichenden Verlauf [vgl Lenneis/Wanke (Hrsg.), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8 Tz 32]. Demgemäß wird ärztliche Hilfe vorerst meistens nur insofern in Anspruch genommen, als sich die Betroffenen zunächst Medikamente (Psychopharmaka) verschreiben lassen. Befunde können daher nur selten für Zeiträume vor dem 21. Lebensjahr vorgelegt werden. Auf Grund dieser medizinischen Tatsachen kann der Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt naturgemäß nicht mit Sicherheit, sondern immer nur mit höchster Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Verfahren: Bundesfinanzgericht (BFG)

Das Finanzamt entscheidet über den Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe mit Bescheid.

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats ab Zustellung des Bescheides beim Finanzamt eine Beschwerde eingebracht werden

  • schriftlich
  • per Fax
  • über FinanzOnline

Die Beschwerde ist kostenfrei und kann vom Beschwerdeführer persönlich erhoben werden. Liegen berücksichtigungswürdige Gründe vor, kann die Beschwerdefrist verlängert werden.

Inhaltliche Erfordernisse der Beschwerde:

  • Bezeichnung des Bescheides
  • Anfechtungspunkte
  • Abänderungsantrag
  • Begründung

In der Regel erlässt das Finanzamt eine Beschwerdevorentscheidung.

Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann innerhalb eines Monats der Antrag gestellt werden, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen (Vorlageantrag).

Wann eine direkte Vorlage an das BFG erfolgt: 

  • Eine direkte Vorlage an das BFG wird in der Beschwerde beantragt und das Finanzamt legt die Beschwerde innerhalb von 3 Monaten dem BFG vor
  • In der Beschwerde wird ausschließlich die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen behauptet

Erhöhte Familienbeihilfe und Einkommen (§ 8 Abs 6a FLAG) - NEU! Erhöhung Zuverdienstgrenze auf € 15.000 ab Kalenderjahr 2020

Wurde eine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt, besteht kein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe, wenn in einem Kalenderjahr die Zuverdienstgrenze von € 15.000 (NEU ab Kalenderjahr 2020; Kalenderjahre 2011 - 2019: € 10.000) überschritten wurde.

Ab dem Kalenderjahr 2013 ist nur mehr jener Betrag zurückzuzahlen, um den der Grenzbetrag überschritten wurde.

Wenn das Einkommen in einem darauffolgenden Kalenderjahr unter der Zuverdienstgrenze von € 15.00 (ab Kalenderjahr 2020) bzw. € 10.000 (betrifft Kalenderjahre 2011 - 2019) liegt, lebt der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe wieder auf. In diesem Fall ist ein neuer Antrag auf Familienbeihilfe beim zuständigen Finanzamt zu stellen.

Zur Ermittlung des Jahreseinkommens: Ausgleichszulagen und Ergänzungszulagen, die aufgrund sozialversicherungs- oder pensionsrechtlicher Vorschriften gewährt werden, bleiben bei der Ermittlung des Jahreseinkommens außer Betracht. Vgl: Änderung FLAG mit Budgetbegleitgesetz 2020, BGBl I Nr 98/2020, abrufbar auf www.ris.bka.gv.at

Wurde die Erwerbsunfähigkeit vom Sozialministeriumservice als Dauerzustand festgestellt, ist kein weiteres Sachverständigengutachten erforderlich (Novelle FLAG, BGBl I 2014/53 mit Wirksamkeit ab 2.8.2014).

Arbeitsversuch und erhöhte Familienbeihilfe: Der Familienbeihilfenbezieher hat die Aufnahme eines Arbeitsversuches dem Finanzamt zu melden und die Familienbeihilfe abzumelden. Bei Scheitern des Arbeitsversuches wird über Antrag die Familienbeihilfe wieder gewährt. Auch für Fälle, in denen das Einkommen über mehrere Jahre hinweg über der Zuverdienstgrenze lag! Voraussetzung: Die Erwerbsunfähigkeit wurde vom Sozialministeriumservice schon einmal als  Dauerzustand festgestellt (kein neues Sachverständigengutachten erforderlich). Zeiten, in denen die Einkommensgrenze überschritten wurde, geltenin diesen Fällen als erfolgloser Arbeitsversuch. (vgl OGH 10ObS59/16y)

Erhöhte Familienbeihilfe & Pflegegeld

Wird neben der erhöhten Familienbeihilfe auch Pflegegeld bezogen, so wird ein Betrag von € 60,00 monatlich auf das Pflegegeld angerechnet.

ACHTUNG! Wird erhöhte Familienbeihilfe bezogen (bzw. nicht mehr bezogen), so ist dieser Umstand binnen 4 Wochen dem zuständigen Pflegegeldträger zu melden. Denn generell hat der Pflegebedürftige Umstände, die sich auf die Höhe des Pflegegeldbezuges auswirken, anzuzeigen.

Quellen
  • Lebenshilfe Oberösterreich: Rechtliche, finanzielle und organisatorische Hilfen für behinderte Menschen und deren Angehörige in Oberösterreich (Stand: Februar 2004). Teil 1/S 19ff
  • BMF: Merkblatt über die Familienbeihilfe einschließlich Mehrkindzuschlage (Beih 49) Stand: 1.1.2004
  • BMF: Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbeitrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Beih 3) samt Erläuterungen.
  • BSB Wien: Unterlagen zur Arbeitsintegration von behinderten Menschen (März 2001)
  • Prettenthaler-Ziegenhofer (Hg): Menschen mit Behinderung - Leben wie andere auch?. Graz: Grazer Universitätsverlag 2006, S 268
  • Familienlastenausgleichsgesetz 1967 idF BGBl I 35/2014. abrufbar auf www.ris.bka.gv.at
  • BFG Erkenntnis vom 05.05.2020, RV/7100591/2020

Stand: 29.7.2021