Das Gerichtsgutachten im Pflegegeldverfahren

Gesetzliche Grundlagen
  • Bundespflegegeldgesetz (BPGG), § 25a Abs 2 und 3
  • Einstufungsverordnung zum BPGG (EinstV), § 8 Abs 2
  • Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 357 und 362

Bestellung des gerichtlichen Sachverständigen

(1) Allgemeinmedizinisches Gutachten: Im Pflegegeldverfahren wird üblicherweise ein Sachverständiger aus dem Bereich Allgemeinmedizin bestellt. Dieses Gutachten ist zur Beurteilung des Pflegebedarfs zumeist ausreichend ist, weil es im Pflegegeldverfahren darauf ankommt, auf welche Weise die Fähigkeit zur Ausübung der lebensnotwendigen Verrichtungen insgesamt eingeschränkt ist.

(2) Augenfachärztliches und/oder neuologisch-psychiatrisches Gutachten: Gibt es konkrete Hinweise, dass die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens aufgrund bestimmter Krankheitszustände zur Beurteilung des Pflegebedarfs zwingend notwendig ist oder ist bei einer Sehbehinderung des Pflegebedürftigen die Einholung eines augenfachärztlichen Gutachtens erforderlich, wird vom Gericht sofort ein solches Gutachten einzuholen sein.

(3) Begutachtung aus anderen Fachgebieten: Weist der vom Gericht bestellte Sachverständige in seinem Gutachten drauf hin, dass eine Begutachtung aus einem anderen Fachgebiet (zB Internist, Lungenfacharzt, Orthopäde) erforderlich ist, ist eine weitere Begutachtung notwendig. Bei Bestellung von Gutachtern mehrerer medizinischer Fachgebiete ist ein zusammenfassendes Gutachten zu erstatten.

(4) Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen aus demselben Fachgebiet : hat nur dann zu erfolgen, wenn dies zur Behebung von Mängeln im Gutachten, bei Unklarheit oder Unschlüssigkeit des Gutachtens oder wegen besonderer Schwierigkeiten des Falles notwendig ist.

Befundaufnahme und Begutachtung

Der Sachverständige hat den Pflegebedürftigen zu untersuchen. Er hat auch auf die im Gerichtsakt aufliegenden ärztlichen Befunde Bezug zu nehmen und sich damit auseinander zu setzen. Falls erforderlich sind Hilfsbefunde (zB Röntgenbilder, Computertomographie, Magnetresonanz-Tomographie) einzuholen.

Wurden außerhalb des Gerichtsverfahrens Privatgutachten (= Gutachten, die im Auftrag einer Partei und nicht des Gerichts erstattet wurden) oder Anstaltsgutachen (= das vom Anstaltsarzt des Pflegegeldträgers erstellte Gutachten) eingeholt, so hat sich der Sachverständige ebenfalls damit zu befassen und Stellung zu nehmen. Treten Widersprüche zwischen dem Privatgutachten und dem Gerichtsgutachten auf, kann sich das Gericht dem ihm als verlässlich erscheinenden Gerichtsgutachten anschließen – die Bestellung eines weiteren Sachverständigen ist nicht erforderlich.

Was das Gutachten zu enthalten hat

  • Anamnese
  • Diagnose
  • Voraussichtliche Entwicklung der Behinderung
  • Befund über die Funktionsausfälle und eine Beschreibung der Defizite aufgrund der geistigen oder psychischen Behinderung
  • Zu welchen konkreten Verrichtungen der Pflegebedürftige ständige Betreuung und Hilfe benötigt
  • Ob die Verwendung von Hilfsmitteln möglich und zumutbar ist
  • Begründung einer Abweichung von den festgelegten Richt- und Mindestwerten
  • Stellungnahme zu den Kriterien eines Pflegebedarfs der Stufen 5-7, wenn der Pflegebedarf 180 Stunden/Monat übersteigt

Gutachtenserörterung

Den beiden Parteien ist eine Ausfertigung des schriftlichen Gutachtens rechtzeitig vor der Verhandlung zur Kenntnisnahme, zu einer allfälligen schriftlichen Stellungnahme zum Gutachten oder zur Stellung weiterer Beweisanträge zuzustellen. Der Sachverständige ist vom Gericht zur Erörterung des Gutachtens zur mündlichen Verhandlung zu laden, es sei denn, dass es offenkundig keiner Erörterung bedarf. Beantragt eine Partei die mündliche Erörterung eines schriftlich erstatteten Gutachtens ist der Sachverständige jedenfalls zu laden.

Quellen
  • Greifeneder/Liebhart: Handbuch Pflegegeld
  • Wetscherek/Proksch: Handbuch für das Sozialgerichtsverfahren. Wien: ÖGB 2000, S 67ff

Stand: 20.5.2022