Pflegegeld: Pflegebedarf-Beurteilung/Begutachtung im Anstaltsverfahren (zB PVA)

Gesetzliche Grundlagen
  • Bundespflegegeldgesetz (BPGG), §§ 25a, 26
  • Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (EinstV), § 8
  • Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger: Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes ( RPGG 2012 )

Pflegegegeldbegutachtung im Anstaltsverfahren beim zuständigen Sozialversicherungsträger - Sachverständigengutachten

Regelung in § 8 EinstV (idF BGBl II Nr 211/2023, Kundmachung 4.7.2023 - Inkrafttreten 5.7.2023):

"Die Grundlage der Entscheidung über die Zuerkennung oder die Neubemessung von Pflegegeld bildet ein ärztliches Sachverständigengutachten oder ein Sachverständigengutachten von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Erforderlichenfalls sind zur ganzheitlichen Beurteilung der Pflegesituation Personen aus anderen Bereichen, beispielsweise der Heil- und Sonderpädagogik, der Sozialarbeit, der Psychologie sowie der Psychotherapie beizuziehen."

ACHTUNG! Bei einer Pflegegeldklage: Im sozialgerichtlichen Verfahren existieren keine verbindlichen Vorgaben für den Ablauf einer Begutachtung. Hier sind die allgemein in einem gerichtlichen Verfahren gültigen Rechtsvorschriften für Sachverständige einzuhalten.

Regelung zur Begutachtung in § 25a BPGG :

Hier die Bestimmungen in Abs 1 - 4:

(1) Auf Wunsch des Pflegebedürftigen oder seines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) ist bei der Untersuchung die Anwesenheit und Anhörung einer Person seines Vertrauens zu ermöglichen. Hieraus entstehende Kosten werden nicht ersetzt.

(2) Bei der Begutachtung von pflegebedürftigen Personen in stationären Einrichtungen sind zur Beurteilung der konkreten Pflegesituation auch Informationen des Pflegepersonals einzuholen und die Pflegedokumentation zu berücksichtigen.

(3) Bei pflegebedürftigen Personen, die durch ambulante Dienste betreut werden, sind bei der Begutachtung zur Verfügung gestellte Pflegedokumentationen zu berücksichtigen.

(4) Bei pflegebedürftigen Personen, die im Rahmen eines Betreuungsverhältnisses im Sinne des HBeG oder gemäß § 159 GewO 1994 betreut werden, sind bei der Begutachtung Informationen der Betreuungskräfte zur Beurteilung der konkreten Pflegesituation einzuholen und zur Verfügung gestellte Betreuungsdokumentationen und Haushaltsbücher zu berücksichtigen. Die Betreuungskräfte sind dabei zur Auskunft verpflichtet; hieraus entstehende Kosten werden nicht ersetzt.

Zusätzlich sind hier die Regelungen zur Begutachtung in den Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG zu beachten.

Gemäß § 25a Abs 1 BPGG ist somit auf Wunsch der pflegebedürftigen Person oder ihres Vertreters bei der Untersuchung die Anwesenheit und Anhörung einer Vertrauensperson zu ermöglichen. Die pflegebedürftige Person hat somit das Recht auf die Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Untersuchung.

 Hausbesuche zur Begutachtung sind von der Gutachterin:dem Gutachter innerhalb einer angemessenen Frist (dh mindestens 7 Tage vor dem Begutachtungstermin) voranzumelden.

Vertrauenspersonen, pflegende Angehörige und professionelles Pflegepersonal (stationäre Einrichtungen, ambulante Dienste, 24-Stunden Betreuung) sind vom Gutachter:von der Gutachterin verpflichtend zu befragen (= Außenanamnese). Die Angaben dieser Personen sind im Pflegegeld-Gutachten jedenfalls zu vermerken.

Die Verfahrensdauer (von der Antragstellung bis zur Entscheidung mit Bescheid) soll gem. § 30 BPGG in der Regel 60 Kalendertage nicht überschreiten.

Mitwirkungspflicht der pflegebedürftigen Person

Gemäß § 26 BPGG besteht eine Mitwirkungspflicht der pflegebedürftigen Person im Verfahren. Demnach kann die Leistung des Pflegegeldes abgelehnt, gemindert oder entzogen werden, wenn und solange die betroffene Person ohne triftigen Grund

  • einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer Untersuchung nicht entspricht oder
  • eine für die Entscheidungsfindung unerlässliche Untersuchung verweigert oder
  • sich weigert, die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen.

Es ist jedoch erforderlich, dass die betroffene Person schriftlich auf die Folgen ihres Verhaltens nachweislich aufmerksam gemacht worden ist.

Einsichtnahme in das Pflegegeldgutachten

[Vgl. Rudda/Greifeneder: Darf der Pflegebedürftige Einsicht in das Pflegegeldgutachten der Sozialversicherung nehmen?. In: ÖZPR 3/2012, S 84.]

Wird ein Pflegegeldantrag (Pflegegeld-Zuerkennung oder Pflegegeld-Erhöhung) mit Bescheid abgelehnt, kann eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht eingebracht werden. Zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Klagseinbringung ist das dem Bescheid zugrunde liegende Pflegegeldgutachten oft sehr hilfreich.

Es sind die Bestimmungen über die Akteneinsicht , § 17 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) anzuwenden: Parteien können "bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akt Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden." (§ 17 Abs 1 AVG) Es besteht daher das Recht auf Einsichtnahme in das Pflegegeldgutachten vor Klagseinbringung! Es besteht aber kein Recht, im Rahmen des Parteiengehörs den gesamten Akt oder Aktenbestandteile in Kopie zugesendet zu bekommen.

"Blinden oder hochgradig sehbehinderten Beteiligten, die eines Vertreters entbehren, hat die Behörde auf Verlangen den Inhalt von Akten oder Aktenteilen durch Verlesung oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten in sonst geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen." (§ 17a ASVG)

Handhabung in der Praxis bei den Entscheidungsträgern der Pensionsversicherung (zB PVA): Der/Die Pflegegeldwerber*in selbst darf immer in die Pflegegeldgutachten der Vertrauensärzte Einsicht nehmen. Bei persönlicher Verhinderung (zB Bettlägrigkeit), wird eine Kopie des Pflegegeldgutachtens per Post an die persönliche Wohnadresse des/der Pflegegeldwerber*in zugesendet.

Quellen
  • Fürstl-Grasser/Pallinger: Die neue Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen. In: Soziale Sicherheit 4/99, S 282ff
  • Rudda/Türk: Die neuen Richtlinien des Hauptverbandes für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG). In: Soziale Sicherheit 4/99, S 271ff
  • HVSV: Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes (RPGG 2012). www.avsv.at
  • Greifeneder: Einbindung von diplomierten Pflegefachkräften in die Pflegebegutachtung ab 1.1.2012. In: ÖZPR 6/2011, S 176f
  • Grasser: Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz - Begutachtung durch Pflegefachkräfte ab 1.1.2012. In: ÖZPR 1/2012, S12f
  • Rudda/Greifeneder: Darf der Pflegebedürftige Einsicht in das Pflegegeldgutachten der Sozialversicherung nehmen?. In: ÖZPR 3/2012, S 84
  • Greifeneder: Pflegegeld - Rechte und Pflichten im Einstufungsverfahren. In: ÖZPR 2/2024, S 46ff

Stand: 26.7.2024