Pflegebedarf-Beurteilung: Sachverständigengutachten der Ärzt*innen und Pflegefachkräfte im Anstaltsverfahren (zB PVA)

Gesetzliche Grundlagen
  • Bundespflegegeldgesetz (BPGG), §§ 25a, 26
  • Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (EinstV), § 8
  • Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger: Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes ( RPGG 2012 ), gültig ab 1.7.2021

Pflegegegeldbegutachtung im Anstaltsverfahren beim zuständigen Sozialversicherungsträger - Sachverständigengutachten

Regelung in § 8 EinstV, BGBl II Nr. 453/2011 (in Kraft mit 1.1.2012):

  • Grundlage der Entscheidung über die Zuerkennung von Pflegegeld: ärztliches Sachverständigengutachten
  • Entscheidung über Neubemesses des Pflegegeldes: auch Sachverständigengutachten von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege können herangezogen werden.
  • Falls zur ganzheitlichen Beurteilung der Pflegesituation erforderlich: Beiziehung von Personen aus anderen Bereichen - zB Personen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, der Heil- und Sonderpädagogik, der Sozialarbeit, der Psychologie, der Psychotherapie

Diagnosebezogene Mindesteinstufungen nach § 4a BPGG (betrifft: Menschen, die zur eigenständigen Lebensführung auf den selbständigen Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen sind / hochgradig Sehbehinderte / Blinde / Taubblinde) erfolgen weiterhin durch ein medizinisches Gutachten.

ACHTUNG! Bei einer Pflegegeldklage: Im sozialgerichtlichen Verfahren liegt die Entscheidung, ob ein ärztliches und/oder pflegerisches Gutachten eingeholt wird, allein beim Gericht.

Regelungen zur Begutachtung in den Richtlinien für die einheitliche Anwendung des BPGG 

Pflegedokumentation:

  • Beurteilung des Pflegebedarfes von geistig oder psychisch behinderten Personen: Insbesondere Pflegedokumentationen und Pflegeberichte sind zu berücksichtigen und im ärztlichen Gutachten anzuführen. Falls erforderlich sind zur Begutachtung Fachärzte für Neurologie und /oder Psychiatrie beizuziehen.
  • Personen in Heimpflege: Verpflichtend ist die Einholung von Informationen des Pflegepersonals. Vorhandene Dokumentationen sind zu berücksichtigen und im Sachverständigengutachten anzuführen.
  • Personen in ambulanter Pflege: Verpflichtend ist die Nachfrage nach Pflegedokumentationen durch die Begutachter (z.B. bei sozialen Diensten). Diese sind gegebenenfalls bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigen und im ärztlichen Sachverständigengutachten anzuführen.
  • Personen in 24-Stunden-Betreuung: Bei der Begutachtung sind Informationen der Betreuungskräfte einzuholen und zur Verfügung gestellte Dokumentiationen über die Betreuung und Haushaltsbücher zu berücksichtigen.

Vorgangsweise bei der Begutachtung durch Sachverständige:

  • Hausbesuche sind von binnen einer angemessenen Frist anzukündigen und zum angegebenen Untersuchungstermin durchzuführen.
  • Bei der Verständigung über einen Hausbesuch ist der Pflegebedürftigen zu informieren, dass er berechtigt ist, auf seine Kosten eine Vertrauensperson zur ärztlichen Untersuchung beizuziehen.
  • Die Angaben der Vertrauensperson sind in angemessener Weise zu erheben und im Sachverständigengutachten anzuführen.

Einsichtnahme in das Pflegegeldgutachten

[Vgl. Rudda/Greifeneder: Darf der Pflegebedürftige Einsicht in das Pflegegeldgutachten der Sozialversicherung nehmen?. In: ÖZPR 3/2012, S 84.]

Wird ein Pflegegeldantrag (Pflegegeld-Zuerkennung oder Pflegegeld-Erhöhung) mit Bescheid abgelehnt, kann eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht eingebracht werden. Zur Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Klagseinbringung ist das dem Bescheid zugrunde liegende Pflegegeldgutachten oft sehr hilfreich.

Es sind die Bestimmungen über die Akteneinsicht , § 17 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) anzuwenden: Parteien können "bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akt Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden." (§ 17 Abs 1 AVG) Es besteht daher das Recht auf Einsichtnahme in das Pflegegeldgutachten vor Klagseinbringung! Es besteht aber kein Recht, im Rahmen des Parteiengehörs den gesamten Akt oder Aktenbestandteile in Kopie zugesendet zu bekommen.

"Blinden oder hochgradig sehbehinderten Beteiligten, die eines Vertreters entbehren, hat die Behörde auf Verlangen den Inhalt von Akten oder Aktenteilen durch Verlesung oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten in sonst geeigneter Weise zur Kenntnis zu bringen." (§ 17a ASVG)

Handhabung in der Praxis bei den Entscheidungsträgern der Pensionsversicherung (zB PVA): Der/Die Pflegegeldwerber*in selbst darf immer in die Pflegegeldgutachten der Vertrauensärzte Einsicht nehmen. Bei persönlicher Verhinderung (zB Bettlägrigkeit), wird eine Kopie des Pflegegeldgutachtens per Post an die persönliche Wohnadresse des/der Pflegegeldwerber*in zugesendet.

Quellen
  • Fürstl-Grasser/Pallinger: Die neue Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz samt Erläuterungen. In: Soziale Sicherheit 4/99, S 282ff
  • Rudda/Türk: Die neuen Richtlinien des Hauptverbandes für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG). In: Soziale Sicherheit 4/99, S 271ff
  • HVSV: Richtlinien für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegeldgesetzes (RPGG 2012). www.avsv.at
  • Greifeneder: Einbindung von diplomierten Pflegefachkräften in die Pflegebegutachtung ab 1.1.2012. In: ÖZPR 6/2011, S 176f
  • Grasser: Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz - Begutachtung durch Pflegefachkräfte ab 1.1.2012. In: ÖZPR 1/2012, S12f
  • Rudda/Greifeneder: Darf der Pflegebedürftige Einsicht in das Pflegegeldgutachten der Sozialversicherung nehmen?. In: ÖZPR 3/2012, S 84

Stand: 25.5.2022