BUP/IP: Sonderfälle der Invalidität/Berufsunfähigkeit

Sonderfall: Tätigkeitsschutz - § 255 Abs 4 ASVG; § 273 Abs 3 ASVG

Für Versicherte ohne Berufsschutz

Nach Vollendung des 60. Lebensjahres gilt als invalid oder berufsunfähig auch, wer durch Krankheit oder Gebrechen außerstande ist, jene Tätigkeit auszuüben, die er in den letzten 15 Jahren (= 180 Kalendermonate) mindestens 10 Jahre (= 120 Kalendermonate) hindurch ausgeübt hat.

Ermittlung ob mindestens 120 Kalendermonate einer Tätigkeit vorliegen: ASVG- und GSVG-Versicherungszeiten sind zu berücksichtigen, wenn die Tätigkeit in ihren wesentlichen körperlichen und geistigen Anforderungen nur in verschiedenen Rechtsformen - wie zB Dienstvertrag, Werkvertrag - ausgeübt worden ist.

Beurteilung der maßgeblichen Arbeitstätigkeit (nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, OGH):

  • Wurden mehrere verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, müssen die wesentlichen Tätigkeitsmerkmale (Kerntätigkeiten) und das gleiche arbeitskulturelle Umfeld übereinstimmen - entscheidend sind dabei die Ähnlichkeiten der Merkmale der tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten
  • Zumutbare Änderungen der bisher ausgeübten Tätigkeit und kurzfristige Umschulungs- und Einarbeitungstätigkeiten in einen neuen Beruf sind zu berücksichtigen

Zumutbare/unzumutbare Verweisungstätigkeiten - Beurteilungskriterien (nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, OGH):

  • Handelt es sich um eine zumutbare Änderung der bisherigen Tätigkeit? Wird der Kern der bisherigen Tätigkeit in praktisch gleicher Form verrichtet und kommt es nur in Randbereichen zu Änderungen, ist die Verweisung zulässig. Eine Verweisung auf ein anderes Arbeitsumfeld ist unzulässig.
  • Ist die gesundheitliche Fähigkeit zur Berufsausübung im bisherigen Ausmaß vorhanden? Die Verweisung eines immer vollzeitbeschäftigt gewesenen Versicherten auf eine Teilzeitbeschäftigung ist daher unzulässig.
  • Mit welchem Maß an Verantwortung war die bisherige Tätigkeit verbunden? Wurde die bisherige Tätigkeit daher selbständig und eigenverantwortlich durchgeführt, ist eine Verweisung auf eine deutlich untergeordnete, nur nach Weisungen und Vorgaben zu verrichtende Tätigkeit nicht zumutbar.
  • Sind mit der Verweisung gravierende Lohneinbussen verbunden? Nur eine sehr große Verminderung des Arbeitslohns bewirkt eine Unzumutbarkeit der Verweisung.

Sonderfall: Originäre Invalidität - § 255 Abs 7 ASVG

eingeführt mit 1.1.2004

Anspruch auf I-/BU-Pension haben auch Personen, die bereits vor erstmaliger Aufnahme einer Beschäftigung als invalid oder berufsunfähig anzusehen waren und mindestens 120 Beitragsmonate in der Pflichtversicherung erworben haben.

ACHTUNG! Es ist nicht erforderlich, dass sich der Gesundheitszustand des/der Versicherten seit Eintritt in das Erwerbsleben verschlechtert hat! (vgl. OGH vom 22.12.2005, 10 ObS 114/05w, 10 ObS 108/05p )

Sonderfall: Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte Arbeitnehmer*innen - § 255 Abs 3a ASVG und § 273 Abs 2 ASVG

Diese Regelung wurde mit 1.1.2011 eingeführt.

Als invalid/berufsunfähig gilt auch eine Person, wenn sie

  • das 50. Lebensjahr vollendet hat,
  • mindestens 12 Monate unmittelbar vor dem Stichtag arbeitslos war
  • mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben hat UND
  • nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und ein Arbeitsplatz - unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen in einer ensprechenden Entfernung vom Wohnort - innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil (§ 255 Abs 3b ASVG) sind: leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen.

Quellen
  • Pensionsversicherungsanstalt: Information 3 - Die Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension (Stand 1.1.2012).
  • Gerhartl/Rudda: Der Invaliditätsbegriff und die Judikatur des OGH zu § 255 Abs. 4 ASVG in den Jahren 2002 bis 2005. In: SozialeSicherheit 3/2006, S 144ff
  • Pinggera/Pöltner/Sladecek: Pension & Invalidität. Wien: Manz Verlag 2010, S 79
  • Gerhartl/Rudda: Der Invaliditätsbegriff und die Judikatur des OGH zu § 255 Abs. 4 ASVG in den Jahren 2002 bis 2005. In: SozialeSicherheit 3/2006, S 144f

Stand: 17.6.2022