Fallprüfungsschema zum Behindertengleichstellungsrecht

Um einschätzen zu können, ob eine Diskriminierung nach BGStG oder BEinstG, §§ 7a ff vorliegt, sollten die nachstehend angeführten Fragen geprüft werden. Es geht dabei um eine „aufbauende“ Struktur, d.h. dass verneinende Antworten eine weitere Prüfung der noch folgenden Fragen erlässlich machen.

1. Liegt der vorliegende „Sachverhalt“ im Geltungsbereich?

Das BGStG greift nur, wenn es sich um Bundeskompetenz handelt. Dies ist allerdings sehr häufig der Fall!

a) Handelt es sich bei dem im jeweiligen Fall zur Anwendung kommenden Gesetz um ein Bundesgesetz (zB Gewerbeordnung) oder Landesgesetz (zB Bauordnungen)?

Exkurs:

  • Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung nach Art 10 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) sind unter anderem folgende Angelegenheiten: Arbeitsrecht (Z 11) , Sozial- und Vertragsversicherungswesen (Z 11) , Gesundheitswesen (Z 12), militärische Angelegenheiten (Z 15), Kriegsschadenangelegenheiten und Fürsorge für Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene (Z 15) , Bevölkerungspolitik, soweit sie die Gewährung von Kinderbeihilfen und die Schaffung eines Lastenausgleichs im Interesse der Familie zum Gegenstand hat (Z 17).
  • Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbständigen Wirkungsbereich der Länder (Art 15 B-VG)

b) Bundesverwaltung: davon umfasst sind auch Bereiche, die von Selbstver-waltungskörpern oder in mittelbarer Bundesverwaltung von den Ländern vollzogen werden sowie die Tätigkeit des Bundes in der Privatwirtschafts-verwaltung — d.h. Bund tritt wie ein „Privater“ auf; ist Vertragspartner, kann klagen und geklagt werden.

c) Private Rechtsverhältnisse: die unmittelbare Regelungskompetenz des Bundes ist sehr häufig im Zusammenhang mit für die Öffentlichkeit bestimmten Gütern und Dienstleistungen gegeben (z.B. Mietrecht, ABGB, Konsumentenschutzgesetz - KSchG, Handelsrecht, …). Es kann dabei auch um die Anbahnung und Begründung von Rechtsverhältnissen gehen. (z.B. behinderter Mensch will in ein Geschäft, um etwas zu kaufen …)

d) Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit außerhalb von Rechtsverhältnissen angeboten werden, wie z.B. die in den regionalen Geschäftsstellen des AMS aufliegenden oder in einem Computerterminal einsehbaren offenen Stellen — bei mangelnder Zugänglichkeit kann Diskriminierung im Sinne des BGStG vorliegen)

e) Diskriminierungsschutz aufgrund der Behinderung in der Arbeitswelt ist im BEinstG, §§ 7a ff geregelt; umfasst sind öffentliche und private Arbeitsverhältnisse sowie der Bereich der sonstigen Arbeitswelt (z.B. berufliche Ausbildung, selbständige Erwerbstätigkeit), sofern Bundeskompetenz gegeben ist.

2. Ist Behinderung nach der Definition dieser Gesetze gegeben? Gehört die diskriminierte Person zum geschützten Personenkreis?

Ausschlaggebend für die Beurteilung, ob eine Behinderung vorliegt, ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung auf die soziale Teilhabe; der Grad der Behinderung ist irrelevant.

Zum geschützten Personenkreis gehören also behinderte Menschen (gem. § 3 BGStG und § 3 BEinstG) bzw. auch Eltern und andere Angehörige gem. § 4 BGStG bzw. § 7b Abs 5 BEinstG.

3. Ist Diskriminierung gegeben (§ 5 BGStG, § 7b BEinstG)?

4. Gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen Behinderung und Diskriminierung?

Es ist zu prüfen, ob die Diskriminierung tatsächlich aufgrund der Behinderung stattgefunden hat.

5. Ist Rechtswidrigkeit gegeben?

Rechtswidrig ist ein menschliches Verhalten (Tun oder Unterlassen), wenn es gegen ein gesetzliches Ge- oder Verbot verstößt.

Diskriminierungen (Handlungen etc.), die den Bestimmungen des BGStG (insbesondere §§ 4,5) und §§ 7a ff BEinstG widersprechen sind rechtswidrig!

6. Liegt Verschulden vor?

Verschulden liegt vor, wenn dem Diskriminierenden sein rechtswidriges Verhalten vorwerfbar war. Schuldhaft handelt, wer ein Verhalten setzt, das er hätte vermeiden sollen und auch hätte vermeiden können.

Bei einer unmittelbaren Diskriminierung liegt schuldhaftes Handeln vor, da jemand einem Menschen mit Behinderung eine schlechtere Behandlung zuteil werden lässt als anderen Personen und eine gleiche Behandlung regelmäßig zumutbar sein wird.

Beim Diskriminierenden müssen vorliegen:

  • Zurechnungsfähigkeit
  • Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens
  • Bewusstsein der Rechtswidrigkeit

ACHTUNG! Aus Handlungen nicht deliktsfähiger Personen können keine Schadenersatzansprüche abgeleitet werden!

Der Umfang/die Höhe des Schadens hängt bei Vermögensschäden vom Verschuldensgrad ab!!! Es gibt folgende Arten des Verschuldens:

  • Vorsatz: Verursachung eines Schadens mit Wissen und Willen
  • Fahrlässigkeit: fahrlässig handelt, wer die gebotene Sorgfalt außer Acht lässt - Leichte Fahrlässigkeit: kleiner Sorgfaltsverstoß der auch sorgfältigen Menschen bisweilen unterläuft. Grobe Fahrlässigkeit: auffallende Sorglosigkeit, die einem sorgfältigen Menschen nicht passiert

Stand: 4.8.2006